Sessions im Lockdown - Jitsi, Jamulus

Musik fehlt im Lockdown am meisten... hält uns zwar keiner davon ab, alleine zu spielen und theoretisch sollten wir alle im letzten Jahr dutzende neue Tunes gelernt haben und die alten Tunes sollten mal so richtig aufpoliert worden sein.... ohne dieses "drecksche Geschrummel", dass man sich auf Sessions gerne mal angewöhnt. Aber das macht nicht so richtig Spaß, ohne zwischendurch mal zusammen zu spielen. Sich Tunes und Versionen von den Sessionkumpels abhören, schwätzen, merken, dass man diesen oder jenen Tune gar nicht mehr richtig kann obwohl der so toll ist, wenn den jemand anders spielt, sich einfach dranhängen und gemeinsam in nen Groove fallen, beim Spielen überlegen, welchen Tune man anhängen könnte (den alle können und das möglichst, ohne Instrumente wechseln zu müssen): Das fehlt! Also muss man irgendwie in Kontakt bleiben und Online-Alternativen suchen...

Videokonferenzen sind toll, wenn man sich gegenseitig abwechselnd was erzählt aber zum Musizieren taugen sie nicht. Wenn der andere los spielt, dauert es nen Moment, bis der Ton bei mir ist. Wenn ich dann mitspiele, klingt das für mich super! Nur braucht mein Ton dann nochmal für den Rückweg und kommt erst dann beim anderen an, wenn der schon ganz woanders ist. Man kann sich aber behelfen: Einer spielt nen Tune und alle anderen schalten sich stumm. Ist nicht gerade Session-feeling aber es ist total nett, mit jemandem zu spielen und das Repertoire aufzufrischen. Zwischendurch kann man schwätzen und das ist auch mal wieder schön!

Jitsi

Jitsi ist eine Videokonferenzplattform, für die man gar nix weiter braucht. Smartphone, Tablet oder Laptop mit Kamera und Mikro und man kann loslegen. Man denkt sich eine beliebige URL aus meet.jit.si/AusgedachterName unter der man sich trifft und los geht's. Da gibt es auch gar nicht viele Tipps, die wir geben könnten.... Laptop-Kamera von unten in die Nase sieht bei den meisten Menschen unvorteilhaft aus. Mit Concertina hat man auch remote das 'Problem', dass es für die anderen seltsam ausieht, wenn man mit verzücktem Gesicht untern Tisch rumfingert aber im Gegensatz zu Kneipengästen wissen die anderen Musiker, was man da macht...

Mit etwas mehr Technik kann man aber tatsächlich auch remote MITEINANDER spielen!

Jamulus

Jamulus ist recht neu und ziemlich cool! Im Prinzip spielt man über einen Server, der irgendwie macht, dass die Latenz tolerierbar ist. Ein bisschen wie Hall. Wie das geht und was man braucht, ist auf der Jamulus Seite beschrieben. Wer genau wissen will,

wie Jamulus das Raum-Zeit-Kontinuum hackt, um eine nahezu perfekte 5. Dimension kollaborativen Klangs zu erzeugen

findet dort auch ein Paper dazu.

Jamulus Tipps

Die Software sorgt dafür, dass die Daten mit möglichtst wenig Versatz im Netz transportiert werden. Damit das Audiosignal auch auf dem verwendeten PC ohne große Latenzen transportiert wird, sollte man selbst noch etwas tun! Jamulus steht für Windows, Linux und MacOS zur Verfügung. Jamulus läuft auf allen drei Systemen stabil aber unsere Empfehlung ist Linux. Im Vergleich zu Windows wird die Latenz nochmal um ein paar Millisekunden gedrückt und jede Millisekunde zählt!
Will man Linux eine Chance geben, dann vielleicht die aktuelle LTS Version von Ubuntu Studio, da ist unter anderem schon der benötigte Audioserver JACK dabei und es kommt ein Echtzeit-Kernel (linux-lowlatency) zum Einsatz, der dafür sorgt, dass das Audiosingnal besonders flott verarbeitet wird. Wie man Jamulus auf einem Linux PC installiert, ist Schritt für Schritt verständlich beschrieben.
Wer wie wir eh schon mit Ubuntu arbeitet, kann den low latency kernel schnell nachinstallieren und ausprobieren, der ist in den offiziellen Paketquellen drin.

Im Gegensatz zu Windows, ist es unter Linux auch recht einfach die Session aufzuzeichnen. Eigentlich ist das dem Serverbetreiber vorbehalten, er kann über die Jamulus Server Software die Session aufnehmen. Unter Linux hilft der ohnehin laufende JACK Audioserver, der kann das Audio Signal aus Jamulus nicht nur zum Kopfhörer sondern zum Beispiel auch in den Audacity Audio Editor umleiten. In Audacity muss man nur JACK als Gerät und Jamulus als Quelle auswählen, auf Record klicken und schon wird die Session aufgezeichnet, so wie man sie über Kopfhörer hört. Audacity sollte aus den offiziellen Ubuntu Repository und nicht über SNAP installiert werden. Bei der SNAP Installation stand bei uns in Audacity der JACK Server nicht zur Auswahl.

Wer wie wir keinen sonderlich guten Internetanschluss mit gerade mal 1Mbit/s Upload-Geschwindigkeit hat, wird während einer Jamulus Session schnell merken, dass schon das Versenden eines Fotos über einen Messenger die Verzögerung nach oben schnellen lässt und man nicht mehr zusammen spielen kann. Ich weiß nicht was andere Netwerk Router so können aber wer eine Fritz!Box hat, kann das Problem einigermaßen beheben. In der Fritz!Box Konfiguration findet sich unter Internet > Filter der Punkt Priorisierung. Hier kann man festlegen welche Geräte im Netzwerk die Nase beim Datentransfer vorn haben oder andersherum, hinten anstehen müssen. Hier gibt es ein Erklär-Video vom Fritz!Box Team. Unser Jamulus PC wird in die Gruppe Echtzeitgeräte aufgenommen.
Mit dieser Konfiguration kann man in den Jamulus Einstellungen die Audiokanäle auf Mono-In/Stereo-Out und die Audioqualität auf Hoch setzen. So erzeugt Jamulus einen Upload-Stream von ca. 0.8 Mbit/s, durch die Priorisierung des Jamulus PC funktioniert das auch wenn man zwischendurch mal ein Foto verschickt oder sonstige Daten über das Netz syncronisiert werden.

Wenn Rechner und Netzwerk fit sind und der Kauf eines neuen schicken Audiointerface ansteht, dann gleich noch je ein gutes Netzwerk- und Mikrofonkabel mit bestellen - auch auf dem Weg durch die Kabel entscheidet jede Millisekunde.

Ist alles installiert und verkabelt, kann es los gehen!
(Vorher noch schnell allen Mitbewohnern Netfix und Spotify abschalten!)

Im Jamulus Handbuch sind die Software und die Punkte, auf die man achten sollte, gut beschrieben. Besonders sollte man die Status-LEDs im Blick haben. Die befinden sich in der Hauptansicht links und im Einstellungsfenster rechts unten. Im optimalen Fall sollte alles auf Grün stehen. Das ist dann der Fall, wenn die Gesamtverzögerung nicht größer als 40 ms ist. In dem Fall lässt es sich gut zusammen spielen. Stehen die LEDs auf Gelb, ist die Verzögerung schon recht spürbar und oft wird der Tune im Zusammenspiel immer langsamer. Hier kann es helfen, wenn der Musiker mit der größten Verzögerung versucht, etwas vor dem Beat der anderen zu spielen - das ist ja auch gleichzeitig eine gute Übung für das eigene Microtiming :) Steht irgendetwas auf Rot, kann man eigentlich aufhören... und Jitsi wieder anschalten.

Wenn das alles gut läuft, sitzt man in der Lausitz und trifft sich mit vielen Leuten zur Session in Frankfurt Main und das ist auch ohne Lockdown charmant:

Veröffentlicht von Irina - März 7, 2021
Kategorie: Session