You don’t have to practice every day, only on the days that you eat
Unbekannt
Ich kenne ja Leute, die sind irgendwie Naturtalente. Die fangen etwas an (Zeichnen, Handwerken, Musik,…) und es dauert gar nicht lange, dann sind sie da richtig gut drin. Als Erwachsene angefangen, ohne frühkindliche Förderung, ohne Unterricht. Ich glaube ja, das Talent liegt weniger in der Sache an sich, sondern im Lernen. Eine hohe innere Motivation und eine gelassene Einstellung zum Weg. Also eine hohe Frustrationstoleranz. Nicht: „Verdammter Mist, das kann ich nicht!“ Sondern: „Ah! Das muss ich jetzt mal üben!“ und auch: „Das ist (jetzt) zu schwer, das lass ich (erstmal)!“ Und keine Ausreden. Es ist, wie es ist. Der Weg startet hier. In dem Alter, mit der Vorbildung und mit der Menge an Zeit, die man hat.
Fragt man nach, dann stecken diese ‚Naturtalente‘ verdammt viel Zeit in die neuen Fähigkeiten und nutzen jede Gelegenheit!
„Ah! DAS ist der Unterschied! ICH habe keine Zeit!“ Ne! Viel wichtiger als die Zeit an sich: Sie wird effektiv genutzt. DAS ist das Talent.
Die Zeit sinnvoll nutzen
Wie macht man das?
Wenn ich wüsste, wie das geht, wäre ich zufrieden. Weiß ich nicht und bin ich nicht. Ich habe neulich mit einer Fiddlerin / Flute Spielerin üben wollen. Wir haben dann doch nur Tunes gespielt. Langsamer und öfter und das hat mir durchaus was gebracht, aber so ganz zufrieden bin ich nicht.
Also habe ich versucht, mich an effektive Workshops und summer schools zu erinnern und deren didaktischen Aufbau.
Die beste Summer School war eine Woche in Ennis von früh (wirklich früh) bis spät (wirklich spät) mit Top-Lehrern. Eine ganze Woche. Hammer!
Jeder Tag fing damit an, dass wir tanzen mussten. Früh (wirklich früh!). Die Musik dazu kam von den Tutoren. U.a. Kevin Crawford, Michael O'Raghallaigh, Kieran Hanrahan, Derek Hickey. Und wenn sich die musikalischen Helden jeden Tag erstmal königlich amüsieren, wie doof man sich anstellt und dass man gestern vielleicht doch etwas lange auf der Session im Pub war (was sie wissen, weil sie da gespielt haben – aber die sind halt sowohl spät als auch früh in musikalischer Topform.) – dann wird ein wie auch immer geartetes ‚Ego‘ gar nicht erst ausgepackt.
Die Didaktik dort und von dem, was ich online gefunden habe, sagt (nicht überraschend): Päckchen packen! Im Kontext von Tunes zu lernen ist gut, aber der Fokus muss auf Kleinigkeiten liegen.
Als Autodidakt muss man seinen eigenen Lehrplan erstellen. Schwierig! Man kennt den Weg nicht, man kennt keine best practices und man weiß gar nicht, welcher Schritt vor welchem anderen beherrscht werden sollte. Schlechte Angewohnheiten können sich einnisten und wenn es klemmt, muss man da alleine durch. Bin ich auf nem Lern-Plateau und muss da einfach durch? Oder habe ich mich in einer Sackgasse verrannt? Aber auch die Mentorenaufgabe wird greifbarer, wenn man kleine Portionen angeht. Was will ich verbessern? Je kleiner das Päckchen ist, desto effektiver kann ich es packen. Und dann wieder in den großen Kontext tun.
Fünf Minuten für drei Ts
Ton, Technik, Tunes
Shannon Heaton hat ein gutes Video gemacht zu ‚fünf Minuten effizient Üben‘. In dem Video läuft eine Uhr mit und ich war erstaunt, was man in so kurzer Zeit unterbringen kann! Wow! Fünf Minuten! „Ich nehme mir FÜNF Minuten am Tag für Musik!“ Die teile ich mir ein in spezifische Aspekte.
Ton: Wichtig für Flute und Fiddle. Wenn man da Intonation mit reinpackt, wird es auch sehr wichtig für Pipes und Tin Whistle. Bei Box und Concertina hat man deutlich weniger Einfluss darauf, WIE ein bestimmter Ton klingt. Da wird (vor allem bei Concertina) wichtiger, alle Optionen für diesen Ton parat zu haben. Bei Banjo und Mandoline schon wieder mehr ein Thema. Wie schrubbt man mit dem Plektrum über die Saiten? Wo landen die Finger der linken Hand und wann?
Also wird eine Minute oder zwei darauf verwand, am Ton zu arbeiten. Wie sauber, wie dreckig, wie lange, wie laut, wie leise = wie STEUERBAR kann ich Töne produzieren?
Give it shtick!
Don't wake the baby!
Technik. Da sollte man sich EINEN Aspekt rausgreifen, den man noch nicht kann. Eine bestimmte Verzierung. Eine bestimmte Verzierung auf einem bestimmten Ton. Betonung auf dem Beat. Backbeat, Offbeat. Glottal stop auf Flute, bellows shake bei Box und Concertina, double stop auf Fiddle oder Banjo, Jig pattern auf Mandoline oder Banjo…
Tunes
Auch da steht einem alles offen, aber Fokus macht Sinn. Einmal alles auffrischen? Was habe ich lange nicht gespielt? Was ist neu? In ner dreiviertel Minute hat man nen Tune einmal in gemütlichem Tempo durchgespielt. Wenn Zeit knapp ist, überlegt man sich vorher, wo man investiert. Die eine schwierige Stelle in dem einen Tune? Ein paar mal, ein paar Tage fokussiert geübt, macht einen riesigen Unterschied!
Hier das Video mit ner beispielhaften fünf Minuten Übungseinheit auf Flute:
Wenn man mehr Zeit hat, kann man da natürlich fluffiger rangehen. Ein Plan macht aber trotzdem Sinn. Vor allem für die Motivation. Die meisten Leute haben irgendwann Frust. „Ich spiele so und so lange und kann das immer noch nicht! Ich werf das alles hin!“ Da hilft ein Realitätscheck! „Ich hab regelmäßig dies und das geübt und da BIN ich besser geworden!“
Ich habe mir vorgenommen, mir jetzt auch Themen zu setzen, zu denen ich jedesmal etwas mache. Egal wie kurz.
Entspannt bleiben wird bei mir Ton ersetzen! Einen gleichbleibenden Ton kann ich auf Concertina spielen, bis der Balg zu Ende ist. Aber ich kann zum Beispiel einen hammercoolen Cran auf dem bottom D. Röhrt! Hat aber außer mir noch nie jemand gehört, weil ich da sowas von entspannt sein muss! Bis in die Fingerspitzen. Die Fingernägel! Der Dreck unter den Fingernägeln muss entspannt sein!
Auch sonst gibt es da immer was. Stellen, die schwer zu merken sind. Stellen mit vielen Balgwechseln.
Technik siehe oben
Variationen wird ein extra Punkt. Halb Technik, halb Tunes.
Tunes siehe oben
Tempo wird dazukommen. Egal, welchen Tune ich übe: Eine Runde mit Fokus nur auf Tempo. Und dann gucken, wo es hakt.
Allgemeine Tipps, die man in seine Übungsroutine einbauen kann:
Fehleranalyse:
Was hakt, wird isoliert und einzeln geübt. Ein schönes Beispiel hab ich irgendwo im Netz gelesen. Vater und Sohn haben mit einem dieser Geschicklichkeitsspiele gespielt, bei dem man so eine Holzkiste hat mit einem beweglich angebrachten Deckel, der Löcher hat und mit Rädern an der Außenseite der Kiste in alle Richtungen gekippt werden kann. Ziel ist es, eine Kugel über die Platte zu bewegen, ohne dass sie in ein Loch fällt. Dem Vater ist die Kugel immer wieder in dasselbe Loch gefallen. Irgendwann ist ihm aufgefallen, dass er den Weg dahin ja gar nicht mehr üben muss und er hat die Kugel kurz vor der schwierigen Stelle eingesetzt und nur das geübt. Volle Konzentration und in der Zeit, die er bis zu der Stelle gebraucht hätte, konnte er öfter eben diese Stelle üben.
Das macht auch bei Tunes Sinn. Diese EINE Stelle plus ähnliche Stellen aus anderen Tunes und selbst ausgedachte Übungen.
Isoliert und dann im Kontext. Genau auf's Tempo achten! Was nämlich gerne passiert: Man meint, man könne die schwierige Stelle nicht so schnell wie den Rest. Also gibt man da Gas. Auch wenn man die dann halbwegs kann, tritt man auf's Gas. Und wenn es dann insgesamt nicht so hinhaut vom Tempo, dann liegt das wohl an der Stelle und man gibt noch mehr Gas - obwohl man da ZU SCHNELL ist.
Ankertöne finden:
Sowohl rhythmisch als auch melodisch hilfreich. Viele Tunes teilen sich Phrasen mit anderen Tunes. Sehr praktisch! Einmal lernen, viele Anwendungen. Man muss nur im richtigen Moment richtig abbiegen. Das ist wie Autofahren ohne Navi. Immer der Straße folgen bis zur Kirche und dann links…
Wenn man merkt, dass es rhythmisch hakelt, helfen Ankertöne auch oft. Der eine Ton: Wenn der genau dann kommt, wenn er dran ist, dann läuft der Rest von alleine.
Tunes in Sets spielen:
Welche Jigs, Reels, Slides, … kann ich? Welche passen in ein Set? Übergang üben. Netter Gag: Tunes auf Zettel schreiben und auslosen, was ein Set wird. Noch effektiver, wenn man nach dem Losen sofort mit Tune eins losspielt und währenddessen erst überlegt, wie der nächste denn wohl geht!
Rhythmus, Groove:
Das ist etwas, was man IMMER, IMMER, IMMER mit drin haben muss. Manche haben's im Blut, andere müssen hart dran arbeiten. Verloren gehen darf es nie!
Bei Leuten, die mit gutem Groove spielen, hat jeder Ton seinen Platz und seine Bedeutung. Bei Leuten, die das Tempo halten können, aber nicht ‚grooven‘, fehlt das. Entweder sind alle Töne gleich wie bei einer Mididatei oder die Beats sind da, wo sie hingehören, aber dazwischen ist Gewurschtel. Es lohnt sich, da Zeit reinzustecken. Mach ich hier jetzt auch mal und beschreibe es auf zwei Arten, weil es anfangs gar nicht so einfach ist.
Wenn man sich einen Reel denkt und dazu spricht: Black und Decker Black und Decker, dann hat man vielleicht schon ganz gut diesen treibenden Rhythmus - wie eine Dampflok - im Ohr. Als Übung kann man jetzt mal mit den Betonungen und den Längen der Silben spielen. Da geht es nicht darum, was ‚richtig‘ ist oder besser klingt, sondern darum, das man es gezielt kann!
– BLACK und Decker Black und Decker BLACK und Decker Black und Decker
– Black und DECKER Black und DECKER (klingt bei einigen Reels super cool!)
– Black UND DeckER Black UND DeckER
– B-L-A-H-H-C-K und D-E-H-H-C-K-er B-L-A-H-H-C-K und D-E-H-H-C-K-er (lang, kurz)
Anders beschrieben: Wenn man den Reel zählt als eins und zwei und drei und vier und, dann tappen die meisten Leute ihren Fuß auf der eins und auf der drei. Den Beats, oder auch Downbeats. Die stellt man sich auch auf dem Metronom ein. Die zwei und die vier sind die Backbeats. Das sind auch Beats – da könnte man auch klatschen und die Tänzer machen da auch wichtige Schritte, aber sie sind nachgeordnet. Beats zweiter Klasse quasi. Oft gibt es da Verwirrung, was denn nun der Backbeat oder Offbeat oder Upbeat ist oder was auch immer. Vielleicht, weil manche Leute Reels als 2/2 Takt schreiben und andere als 4/4. „Das kürzt sich doch weg!“ sagt da mein innerer Klugscheißer, aber da könnte er falschliegen. Ist für die Übung, die ich im Sinn habe auch egal: Bei eins und zwei und drei und vier und der ZWEI und VIER viel Gewicht geben.
Ob man das den Backbeat oder den Offbeat nennt: Die entsprechenden Stellen im Tune muss man treffen! Die sind genau in der Mitte zwischen zwei Fußtappern. Doppelt so schnell tappen hat mir nicht geholfen. Das muss schon anders sein. Zwei verschiedene Clickgeräusche auf der Metronomapp sind schon besser, aber noch besser ist es, sich den Rhythmus irgendwo in den Körper zu packen…
Manche Musiker zucken da mit den Schultern. Also rhythmisch auf dem Backbeat, nicht einmalig als Zeichen für „mir doch egal“. Es gibt da einige lustige Zuckunngen, wenn man mal drauf achtet! Das Flute-Spieler ‚Nicken‘ zum Beispiel.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich zum ersten Mal den Backbeat gesucht habe (den ich Offbeat genannt habe - die zwei und die vier halt). Laut mitzählen geht bei Flute nicht. Also habe ich mit beiden Füßen getappt. Links für eins und drei, rechts für zwei und vier. Richtig langsam. Mit anhalten und gucken, welcher Fuß denn gerade tappt... Dann habe ich mir für diesen Tune die Töne gemerkt, die jeweils auf der zwei und vier landen. Das war wirklich zäh! Auch für den nächsten und übernächsten Tune! Und irgendwann hat es klick gemacht und das ganze ging nicht nur schneller sondern auch spontan.
Das klingt jetzt nach viel Aufwand. Ist es auch. Aber in irischer Musik ist der Rhythmus im Tune. Der wird nicht ausgelagert an eine Rhythmusgruppe (auch wenn die das sehr gut unterstreichen können). Wenn man als Melodiespieler nur zwei bestimmte Töne pro Takt rhythmisch ansteuern kann, dann fehlt da was.
Als Übung ist es wirklich gut, wenn man die eins und drei bzw. die zwei und vier übertrieben betont. In der Übertreibung liegt die Anschaulichkeit.
Und dann mal alle Zahlen: 1, 2, 3, 4 mit den unds unbetont. Das machen einige der Belfast Flute Spieler wie Harry Bradley oft. Macht irre Spaß, das auf Flute mit vollem Wumms aus dem Zwerchfell rauszuhauen! Und noch mehr, wenn man das mit einem anderen Flutespieler zusammen macht!
Ähnliches gilt für Jigs. Die sind auch nicht geradeaus Eins Zwei Drei. Polkas sind von den Tönen her superleicht, aber rhythmisch die Königsdisziplin – sie sind ‚unseren‘ Polkas ähnlich genug, dass man den (Sliabh Luachra) Polka-Groove gar nicht so wahrnimmt und fröhlich das spielt, was man erkennt. „Jippie-yeah, das kenne ich: Hacke, Spitze, eins, zwei drei!“
Dazu hab ich ein Erklärvideo von einer Amerikanerin (?) gefunden, die in Cork studiert hat.
Irische Musik lernen - vorne rechts ist Gas
Irische Musik lernen - die Tunes
Irische Musik lernen - nun entspann doch mal
Irische Musik lernen - wer spielen will, muss hören