There are some things that can't be taught; they have to be learned. Kevin Burke
In diesem Teil der Serie geht es endlich mal um die Tunes. Welche Tunes sollte man lernen und wie?
Wenn man noch kein Virtuose auf seinem Instrument ist und jeder Tune wirklich Arbeit macht, bis man ihn in Kopf und Fingern hat, sollte man da pragmatisch rangehen. Maximale Freude und Spielgelegenheit sind ein super Anreiz. Hat man eine lokale Session, dann hat man da eine potenzielle Spielgelegenheit. Also: Aufnahmegerät raus!
Seltsamerweise ist „viel auf Sessions gepielt“ und „einfach“ nicht deckungsgleich. Einer der meistgespieltes Tunes ist Joe Cooley's Reel. Und der Kesh Jig. Beide gar nicht sooo einfach. Concertina Reel: Standardrepertoire und der Name lässt einen glauben, der wäre quasi für die Concertina gemacht. Von wegen! (Was daran liegt, dass Concertinas früher oft „in der Reihe“ gespielt wurden. Also viel in C. In C-Dur liegt der Concertina Reel fluffig unter den Fingern!)
Wie findet man raus, was beliebte Tunes sind und wie kommen die in den Kopf und in die Finger?
Bei thesession.org kann man sich popular Tunes anzeigen lassen.
Bei irishtune.info gibt es die top Session tunes und andere Auswertungen. Auf beiden Seiten kann man sich anmelden und sich Tunes auf eine Liste speichern. Da sieht man, dass Drowsy Maggie in 6,536 tunebooks bei thesession.org gespeichert wurde. Die Chance ist also hoch, dass man auf einer beliebigen Session jemanden findet, der den auch spielt.
Auf beiden Seiten kann man auch nachgucken, auf welchen CDs der Tune ist. Das ist sehr praktisch, wenn der Tune da unter einem anderen Namen aufgeführt ist. Bei irishtune.info kann man auch jeweils den Anfang hören.
Die Tipps, die ich so bekommen habe drehen sich vor allem um das Lernen. WIE kommen die in den Kopf? Da müssen sie hin. In den Kopf und in die Finger.
Nach Gehör lernen
„Man MUSS das nach Gehör lernen!“ Das war so ziemlich das erste, was ich zu dem Thema gehört haben. Das habe ich sowas von nicht eingesehen! Geht nach Noten doch schneller. Und auswendig gelernt hab ich es ratzfaz. Das Ergebnis ist doch gleich!
Ist es nicht und je schwerer einem das fällt, desto dringender sollte man das üben! In den Noten steht nicht der Tune. Irische Tunes nach Noten spielen ist wie Witze aus einem Witzebuch vorlesen. Aber: Man kann neue Witze in nem Buch lesen und die dann nachher gelungen erzählen. Wenn man weiß, wie das geht. Wo man eine Pause für die Spannung machen muss und wo man lauter und leiser werden muss. Betonung und Rhythmus. Will ich aber Witze in einer Fremdsprache erzählen, die ich nicht kann, wird es schwierig! Auch mit Lautschrift. Von einem Muttersprachler kann ich das „nach Gehör“ ziemlich gut lernen. Auch wenn ich kein Wort verstehe.
Ich hab mich sehr schwer getan mit dem Lernen nach Gehör. Und die Ungeduld bringt mich immer noch dazu, einzelne Stellen nachzugucken. Auf Seiten wie thesession.org gibt es meist zig Varianten und welche der Aufnahme entspricht, an der ich mich orientiere, DAS höre ich dann schon. Meist gucke ich die Enden von A- und/oder B-Teil nach. Ist jetzt nicht schwer zu raten, welche Stellen eines Tunes ich regelmäßig vergesse…
Wie man lernt, beeinflusst die „Speicherung“
Das habe ich kürzlich erst gelesen. Erforscht wurde das mit klassischen Musikern. Was mich gleich auf eine Tangente bringt: Die spielen das ja nicht immer wieder neu vom Blatt. Da wird mit allerlei Strategien geübt und geübt, bis auch die technisch herausfordernsten Stellen sitzen. Aber wenn man das Auge einmal eingebunden hat, ist es im Kreislauf drin. Sänger, die Texte vom Blatt singen, brauchen oft das Blatt. Nach genug Wiederholungen kann das auch ein anderes Blatt sein. Solange es da liegt und sie glauben, da stünde der Text...
Viele Leute können Tunes nur spielen, wenn ihnen der Name einfällt. Ich hatte das vor Jahren mal in Schottland. „Den kenne ich!“ Spielen konnte ich ihn erst, als mir der Name einfiel. Mitten im zweiten Durchlauf ist mir klar geworden: Das ist er gar nicht! Zack! Konnte ich nicht weiterspielen!
Was die Wissenschaft festgestellt hat, gilt für „Lernen und danach abrufen“. Nicht für lernen, immer wieder in verschiedenen Situation spielen und dann nach einer Pause wieder abrufen. Das ist wichtig. Einen Tune, den man im Wohnzimmer alleine gelernt hat, kann man noch lange nicht auf Session. Es wird alles mitgelernt! Auf wechem Stuhl man sitzt. Ob man steht. Wie es in diesem Raum klingt. Was man sieht und im Hintergrund hört. Mit genug Variationen bleibt der TUNE im Gedächtnis und nicht der andere Kram als Teil des Tunes.
Für den ersten Schritt, vor der Generalisierung gilt: Serielles Tune-lernen ist nicht so fest im Speicher. Also: Takt 1, dann Takt 2, dann Takt 3 usw (oder Ton, Phrase, …) lernen und erst am Ende alles im Stück spielen.
So wird oft auf Workshops gelernt. Oft Tunes, die man noch gar nicht im Ohr hat. Neue Tunes für alle. Phrase/Takt 1, 2, 3, …am Ende wird auch alles im Stück gespiet, aber im Schneckentempo. Das trainiert sehr gut, einzelne Phrasen sehr schnell nachspielen zu können. Was eine tolle Fähigkeit ist - die meisten Phrasen kommen in verschiedenen Tunes vor. Wenn man das in einem mehrtägigen Workshop immer wieder übt, mit mehreren Tunes, dann macht man da große Fortschritte. Aber zurück zu Hause ist es oft so, dass man keinen einzigen der Tunes spielen kann, ohne sich die Aufnahmen anzuhören und die Phrasen noch mal neu - im Kontext - zu lernen.
Für viele Leute funktioniert es besser, Stück 1 zu lernen, das dann zu spielen und am Ende etwas vom Rest anzuhängen. Und dann wieder von vorne und etwas weiter. Bis man alles hat.
Ebenfalls gut ist es, sich vom Großen ins Kleine vorzuarbeiten. Das passt zu einem andern Tipp, den ich öfter gehört habe: Das Stück NICHT langsamer machen.
„Ja was denn noch?“
Ich erinnere mich, wie ich vor vielen Jahren vor'm Cassettenrekorder saß. Chieftains. Keine Chance, da was in dem Tempo rauszuhören! Auch die Tunes, die ich in einem Notenbuch hatte, habe ich in dem Tempo nicht wiedererkannt. Mittlerweile gibt es hillfreiche Technik. Auch zum langsamer machen und dazu, einen Tune in einem Set in Schleife zu spielen. Und dazu, „normalsterbliche“ Musiker aufzunehmen. Nix mehr mit Mindiscs, die man in Echtzeit abspielen und aufnehmen muss, um sie „auf dem Rechner“ zu haben. Und das war schon modern! Einer der alten Helden erzählte mal in nem Interview, dass er mit nem Kumpel immer zu house dances geradelt ist. Wenn ihnen ein Tune besonders gut gefallen hat, hat sich einer den A-Teil gemerkt und der andere den B-Teil!
In modernen Zeiten: Da spielt der Tune also in Schleife und ich versuche mal nen Ton, der passt. Den Grundton hat man schnell gefunden. Oder die Quinte im Akkord zum Grundton. Muss man nicht wissen, was das für ein Ton ist. Einer, der oft passt. Nach ein paar Runden weiß man, wo genau dieser Ton eine wichtige Rolle hat. Dann findet man nen anderen wichtigen Ton. Und so füllt man den Tune immer mehr auf, bis man auch die Töne hat, die nur im Vorbeigehen mal kommen.
picking up tunes on the fly
Das ist eine geniale Fähigkeit! Ich hatte das schon öfter, dass ich auf einer Session einen Tune gespielt habe und jemand anders hat im ersten Durchlauf zugehört, im zweiten Durchlauf Stellen mitgespielt und im dritten war er/sie voll dabei. Immer mit absolut gutem Rhythmus. Wenn ich das merke, spiele ich den Tune noch ein paar mal und am Ende sagen die Leute immer, dass das ja ein schöner Tune war, wie der denn heißt? Die haben den dann. Im Kopf und in den Fingern. In Echtzeit! So genial!
Je mehr man sein Gedächtnis füllt mit „was SO klingt, geht auf meinem Instrument SO“ und „wenn ich SO mache, klingt das SO“, desto leichter fällt einem das.
So ein klein wenig kann ich das mittlerweile. An manchen Tagen und bei manchen Tunes. An anderen Tagen lege ich mir eine vier Noten Sequenz in Schleife in 20% des Tempos und komm nicht drauf!
Muskelgedächtnis
Session in Kalifornien. Irgendwo nördlich von San Francisco. Da war Father… Name vergessen. Ein älterer Priester urprünglich aus Irland. Toller Flutespieler. Der hat sich total gefreut, dass ich soviele „alte Tunes“ hatte, die er ewig nicht gespielt hat. Zu der Zeit haben Sirko und ich viel von alten Pipes-Aufnahmen gelernt. Father Namevergessen konnte ALLES mitspielen. Aber wenn er was anfangen wollte, hatte er ein Problem. Sein Tunespeicher hatte keine Schubladen. Da war nix unter nem Namen abgelegt oder unter einer Gelegenheit, Person, Ort, … nix. Wenn er was anfangen wollte, hat er mit den Fingern gewackelt. Irgendwie. Irgendwelche Töne. Bis seine Finger ein Fragment wiedererkannt haben. Faszinierend! Weitere Tunes dranhängen war kein Thema. Das waren auch nicht immer dieselben Sets.
Man kann also hunderte, tausende Tunes ausschließlich im Muskelgedächtnis speichern!
Muskelgedächtnis kann man sich vorstellen wie nen Trampelpfad. Wenn man heute nen Weg durch ne Wiese geht und morgen wieder, dann nimmt vielleicht denselben Weg. Oder auch nicht. Aber wenn man immer wieder denselben Weg geht, hat man den Trampelpfad. Und wenn man irgendwo lang latscht und auf einenTrampelpfad trifft, dann nimmt man den! (Wenn er ungefähr in die richtige Richtung geht.) Ohne Trampelpfad würde man vielleicht nen halben Meter links oder rechts gehen. Bedeutet für's Muskelgedächtnis: Da wo ich langgehe, entsteht ein Pfad.
Übe ich nen Tune und verspiele mich an einer Stelle, fange ich vielleicht von vorne an. Wieder falsch. Von vorne. Verdammt! Das kann ich doch! Wieder falsch! Nochmal! Jetzt aber! Yay: Richtig! Endlich geht's weiter! Latsche ich zig mal diesen Weg und einmal jenen, ist mein Trampelpfad nicht da, wo er sein soll! Man muss öfter richtig als falsch spielen!
Dazu kann man sich die schwierige Stelle isolieren. Oder kurz vorher gaaanz langsam werden oder eine Pause machen und sich konzentrieren! Tempo halten ist eine andere Übung!
Man merkt sich nämlich auch (unbewusst), welche Stelle schwierig ist, was das Tempo angeht. Und kompensiert. Eh man sich's versieht, spielt man die schwierige Stelle ZU SCHNELL! Abgespeichert hat man sie aber als „zu schwierig für dieses schnelle Tempo“. ICH MUSS SCHNELLER WERDEN! Passt immer noch nicht! Muss ich bestimmt noch schneller werden!
Lernen im Schaf
Sich CDs unters Kopfkissen zu packen reicht nicht ganz, aber: Das lernende Gehirn wird umgebaut. Und viel davon passiert im Schlaf. Nur hat das Gehirn jeden Tag viele, viele Eindrücke. Zu viele! Da muss priorisiert werden! Das, woran man vor dem Einschlafen denkt, wird als wichtig eingestuft. Es lohnt also, sich vor dem Einschlafen gedanklich mit Lösungen zu beschäftigen und mit Plänen oder eben mit Musik.
Die Wissenschaft hat festgestellt (in diesem Fall die Sportwissenschaft), dass gedankliches Training fast soviel bringt wie echtes! Keine Ahnung, ob man sich einen Sixpack herbeidenken kann, aber mit dem Fußball auf ein Tor schießen, kann man in Gedanken üben! Tunes spielen auch! Das muss nicht vor dem Einschlafen sein, geht auch kurz mal im Aufzug. Der Trick ist, das aus der Innenansicht zu visualisieren. Also sich nicht von außen beim Spielen zugucken. Als Übungsdurchlauf: Augen zu und sich vorstellen, man schreibt seinen Namen. Und dann stellt man sich das noch mal vor, aber schreibt mit der anderen Hand. Das fühlt sich auch in der Visualisierung seltsam an. Genau so seltsam fühlt sich gedankliches Tunespielen an, wenn man an eine Stelle kommt, die man gar nicht richtig kann und durch die man sich immer nur durchpfuscht. Das ist einem vielleicht gar nicht bewusst. Man kann diese Stelle jetzt langsam gedanklich üben. Wenn das gar nicht geht, weiß man, was man in echt - mit dem akustischen Feedback richtiger oder falscher Töne - üben muss. Zum Einschlafen nimmt man sich dann besser einen anderen Tune oder denkt an eine schöne Aufnahme oder daran, was auf der letzten Session besonders toll war.
Sich an Tunes erinnern
Sich daran zu erinnern, wie welcher Tune geht, ist das eine…
Manche kann man spielen, wenn einem der Name einfällt. Oder eine Beschreibung. Sowas wie:
Der Tune, den der Typ gespielt hat! Der mit der Mandola! (Dan Breen's. Der Typ heißt Simon.)
Der Slide, der auf der CD ist von dem Mann mit der Brille und seiner Schwester. NICHT Gander in the Pratie Hole! (Star above the Garter. Denis Murphy und Julia Clifford.)
Der Jig, den die Polen im Auto spielen. (Lisnagun. Es sind Franzosen in nem youtube Video.) So hat Conny den gespeichert. Bei mir ist es der, den die Harfengruppe bei der Summerschool in diesem Ort in der Pfalz gelernt hat.
Der, der nicht The Union ist. (der halt…)
Der Tune, als den sich Jörg verkleidet hat, als wir uns alle mal als Tunes verkleidet haben.
Man muss sich aber nicht nur an die Tunes erinnern, sondern auch daran, welche Tunes man überhaupt hat. Um sich DANN daran zu erinnern, wie die gehen. Gar nicht so einfach! Viele Leute machen sich Listen, gerade am Anfang. Wenn man die Liste nicht mit hat, weiß man vielleicht, dass man schon 137 Tunes gelernt hat. Aber wenn jemand sagt: „Spiel doch mal was!“, steht man blöd da!
Wenn jemand Tipps hat, wie man abrufen kann, was man kann: Immer her damit!
Was mir aufgefallen ist: Je mehr Assoziationen man mit einem Tune hat, desto leichter wird die Erinnerung getriggert.
Spaß machen auch Gehirnjogging-Sets mit Musikkumpels. Wenn jemandem etwas zum vorgegebenen Motto einfällt, wird es drangehängt…
„Wir spielen jetzt alle Jigs mit Geflügel!“
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